„Ich schau mir nur die Sterne an“

Das eigene Leben in einem einzigen, langen, irgendwann vermutlich auch langweiligen Fließtext runterzuerzählen: sicher keine sehr gute Idee. Es ist viel attraktiver, man unterteilt das ganze große Leben in viele kleine Kapitel, die man nach und nach alle schreibt – und am Schluss auf spannende Art zusammenstellt. Nein, nicht unbedingt chronologisch.

Wie sowas aussehen kann, wie gern man sowas liest, hat – freilich auf Profiebene – gerade Lena Schätte vorgemacht mit ihrem unheimlich tollen Buch „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“. Es ist ihre Geschichte, allerdings fiktionalisiert, beziehungsweise ist es die fiktionalisierte Geschichte zwischen ihr und ihrem Vater. Der schwerer Alkoholiker gewesen ist, den sie in der Fabrik, in der er arbeitete, von der Werkshalle ins Büro versetzten, weil sie Angst hatten, dass er sich die Hand absägt im Suff. Den die Autorin immer wieder mal im Beet vor dem Haus auffindet, weil er mit dem Schlüssel nicht ins Schlüsselloch getroffen hat. „Ich schau mir nur die Sterne an“, sagt er ihr dann. Er war natürlich viel mehr als nur ein schwerer Trinker, und das Schöne an Schättes Buch ist, dass man das als Leser immer weiß. Er war, das erzählt sie ebenso zart wie zärtlich, auch ein begnadeter Geschichtenerzähler, beliebt bei den Leuten, ein Unterhalter.

Schätte, Jahrgang 1993, kommt aus dem Sauerland, sie arbeitet als Psychiatriekrankenpflegerin mit Suchtkranken. Zwischendurch hat sie übrigens auch selbst getrunken, jetzt war es plötzlich sie, die doch immer auf den Vater aufgepasst hatte, die den Schlüssel nicht mehr ins Schlüsselloch bekam. Im fünften Anlauf gelang es ihr, am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig genommen zu werden, wo sie dann Kreatives Schreiben studierte. Das Buch über den Vater ist ihr zweiter Roman, der Erstling hieß „Ruhrpottliebe“. Den hat sie mit 18 geschrieben.

Ihr Vater, zu dem sie auch als Kind trotz aller Probleme, die er über die Familie brachte, immer gehalten hat, dessen Probleme sie natürlich auch heillos überforderten, nannte sie Motte. Zitat Buch: „Dass das kein schönes Tier ist, sage ich ihm oft. Und dann zähle ich ihm auf, wie andere Väter ihre Töchter nennen. Wir sind halt nicht wie die, sagt er dann und lacht.“ Losgehen tut ihr Roman damit, dass die Mutter ihren Töchtern – Lena hat eine Schwester und einen Bruder – nicht beibringt, was andere Mütter ihren Kindern einschärfen: immer freundlich danke und bitte zu sagen. Sondern die Mutter der Ich-Erzählerin im Buch bringt den Töchtern bei, „dass Schnaps Ärger bedeutet. Dass Männer, die Bier trinken, harmlos sind: Sie tanzen und lallen und plaudern private Dinge aus, doch schließlich lassen sie sich ins Bett schubsen und schlafen friedlich ihren Rausch aus. Männer, die Schnaps trinken hingegen, werden aggressiv …“

Geschrieben hat Lena Schätte ihr Buch großenteils im Baumarkt, innerhalb von nur drei Monaten. Weil sie da in Ruhe gelassen wurde, wie sie der Süddeutschen erzählte, weil sie da mit ihrem Notebook den ganzen Tag sitzen bleiben konnte vor einer Tasse Kaffee.

Das gefällt mir auch an dem Roman: Die Kapitel werden einfach durchnummeriert. Und erst Kapitel 13 erklärt eigentlich das ganze Dilemma: „Als ich noch ein Kind bin, denke ich oft, ich habe zwei Väter. Den einen nüchternen, der schnell rennen kann und gute Verstecke kennt. Der auf alle Fragen eine Antwort weiß und wenn nicht, sich eine gute ausdenkt. Der mit mir einen Film sieht, den ich nicht verstehe, und in der Werbepause erklärt er mir dann alles. Und wenn meine Mutter dann sagt, dafür sei ich viel zu klein, sagt er Nein, Quatsch, sie versteht das!, und ich nicke wild. … Und dann gibt es noch den anderen Vater. Der sich darüber legt und ihn verschwinden lässt.“

Man sollte, auch darin ist Lena Schätte ein Vorbild, zum Schreiben öfters die eigenen vier Wände verlassen. Das Café der Wahl kann im Baumarkt liegen, muss aber nicht. Gewidmet hat die Autorin ihr Buch übrigens – genau: dem Papa.