Der Ort, an dem wir hergestellt wurden

Die zwei Romane von Dana von Suffrin.

Dana von Suffrin ist eine junge Münchner Autorin, gerade ist ihr zweiter Roman erschienen, er heißt „Nochmal von vorn“. Es ist eine Schwesterngeschichte, der Vater ist ein eigenwilliger, jüdischer Patriarch mit rumänischen Wurzeln, die Mutter eine schnelldenkende, scharfzüngige Deutsche, die beiden haben zwei Töchter, und die Jüngere ist die Erzählerin. Ich habe das Buch gelesen, es ist super, und ich war im Literaturhaus, als Dana von Suffrin es vorgestellt hat.

Fast noch ein bisschen besser, auch wenn es immer doof ist, zu vergleichen, fand ich ihr Debut. Das hieß „Otto“ und ist 2019 erschienen, auch eine Familiengeschichte, in dem Fall stand der Vater, ein eigenwilliger jüdischer Patriarch mit Wurzeln in Rumänien, im Fokus. Es geht darum, dass er sterben wird, und es geht um seine „Untergegangene Welt“, von der er aber nie mehr erzählt. Von seiner Familie hat niemand den Holocaust überlebt. Damit verwoben wird die Liebesgeschichte zwischen seiner Tochter Timna, der Erzählerin, und Tann, ihrem Mann. „Otto“ endet so: „Meine Gedanken waren kein Monument, meine Familie war nicht bedeutend, und meine Geschichte war es nicht. Nichts davon verdiente eine Gedenkstätte. Meine Gedanken waren nur so lange da wie ich, und sie waren Gedanken des Hasses und der Liebe.“

Im Literaturhaus sagte Dana von Suffrin, die Familie eigne sich einfach gut, um darüber zu schreiben. „Sie ist der Ort, an dem wir alle hergestellt werden“, außerdem ein Ort „der uns alle irgendwie beschädigt hat“. In Familien verändern sich die Mitglieder nicht, jedenfalls, wenn die Familie zusammenkommt, fallen alle in die alten Rollen, „man kann jeden Einzelnen gut an die Wand fahren“, meinte sie und lachte. Das Tolle an ihren Büchern ist aber, dass darin niemand bloßgestellt wird, alle werden, so groß auch der Scheiß ist, den sie machen, trotzdem weiter irgendwie geliebt. Weil es halt nicht anders geht. Dana von Suffrin gelingt das Kunststück, sehr witzig zu schreiben und gleichzeitig tieftraurig, und sowieso ist sie eine Sprachkünstlerin.

Auch „Nochmal von vorn“ ist unheimlich toll geschrieben, was sie einfach kann, ist, Schwebezustände herzustellen. Das ist eh das beste an Literatur, der Aufenthalt in Zwischenräumen. Einmal sitzt die Familie um einen Tisch, sie spielen eigentlich, aber die Erwachsenen machen nicht gescheit mit, dann: „Zsasa wiederum betrachtet ihre Hände, dann schreckt sie plötzlich auf und sieht zu meiner Schwester und mir, ihr Blick ist zärtlich und kurz wie ein fallendes Blatt.“ An einer anderen Stelle sieht die Ich-Erzählerin, wie der Vater weint, der Hund ist gerade gestorben. „Es ist in jeder Kindheitsbiografie das Größte, den Vater beim Weinen zu erwischen: Finger, die zittern statt zu strafen und Augen, die nässen, statt zu tadeln. Der Vater wird so klein wie eine Erdbeere, so süß und weich und nass. Man hat Lust, den Vater mit der Fingerspitze anzustupsen, und ist neugierig, ob er sofort zerbirst oder sich in ein rote Lache verwandelt.“

Im Literaturhaus kam die Sprache auch auf den 7. Oktober, und Dana von Suffrin sagte, manchmal sei sie aufgewacht in den letzten Wochen und Monaten und dachte: „Die Welt steht Kopf.“ Sie könne verstehen, meinte sie, wenn ein syrischer Freund vor allem die palästinensische Seite im Krieg sehe, aber sie könne nicht verstehen, wenn jemand vom Bodensee die Sache der Palästinenser wie ein Schild vor sich herträgt. Nicht nur die Sicht auf Israel habe sich verändert in der letzten Zeit, meinte sie, sondern auch der ganze Diskurs. „Jetzt ist es schon eine radikale Position, wenn man nur findet, dass es einen jüdischen Staat geben sollte.“

Später signierte sie Bücher. Ein Security-Typ stand in der Ecke. Ein Freund von mir kaufte ein Buch für seine Frau, sie heißt Angelika, er ließ ihr eine Widmung reinschreiben. Dana von Suffrin schaute ihn an und lachte: „Angelika mit A?“

„Otto“ habe ich schon zweimal gelesen. „Nochmal von vorn“ habe ich in zwei Tagen gelesen – obwohl ich gar keine Zeit zum Lesen hatte. Beide Bücher lese ich sicher nochmal.