Von Schriftstellern erwartet man irgendwie, dass sie, wenn sie ihren Kindern oder den Kindern von Verwandten oder den Kindern von Freunden oder irgendwelchen Kindern schreiben, diese Briefe, Notizen, Karten besonders nett / schön / witzig formulieren. Darf man vermutlich auch erwarten. Ein Schreiner würde sich ja auch für den eigenen Wohnzimmertisch besondere Mühe geben. Dabei ist freilich nicht gesagt, dass jeder Autor / jede Autorin ein besonders gutes Verhältnis zu seinen / ihren Kindern hat. Erich Kästner, größter Anwalt aller Kinder in seinen Kinderbüchern, hatte zu seinem Sohn ein schlechtes Verhältnis. Gisela Elsner hatte zu ihrem Sohn Oskar Roehler, der selbst auch Schriftsteller wurde und Filmemacher, überhaupt kein Verhältnis.
Umso schöner, dass man wenigstens von James Joyce und von Jurek Becker weiß, dass, wer mit ihnen verwandt war, sich auf schönste Post von den berühmten Schriftstellern in der Familie freuen durfte. Einer der Briefe, den James Joyce, als er mal wieder in Dänemark war, wo er sehr gern war, an seinen damals vierjährigen Enkel Stephen schrieb, wurde sogar als Buch veröffentlicht. Aufs Schönste illustriert von Wolf Erlbruch, der inzwischen leider auch schon nicht mehr lebt. Das Buch heißt „Die Katzen von Kopenhagen“, und so fangen Brief und Buch an: „Leider! Kann ich dir keine Kopenhagener Katze schicken, weil es in Kopenhagen keine Katzen gibt. Es gibt jede Menge Fisch und Fahrräder, aber es gibt keine Katzen. Außerdem gibt es keine Polizisten. All die dänischen Polizisten verbringen den Tag zu Hause im Bett. Sie rauchen den ganzen Tag lang dicke dänische Zigarren und trinken den ganzen Tag lang Buttermilch.“ Man würde jetzt am liebsten das ganze Buch abschreiben, aber das wäre ein bisschen viel. Joyce erzählt seinem Enkel dann von den jungen Jungens, die rot gekleidet auf dem Radl durch Kopenhagen brausen und Post austragen, woraufhin die Polizisten aus ihren Betten heraus die roten Jungens anweisen, „was zu tun ist“. Joyce weiter: „Wenn ich wieder nach Kopenhagen komme, werde ich eine Katze mitbringen und den Dänen zeigen, wie sie ohne die Anweisungen eines Polizisten die Fahrbahn überqueren können.“ Der letzte Satz im Brief und im Buch ist eine Frage, nämlich: „Was meinst denn du dazu?“
Jurek Becker wiederum, der mit 52 noch einmal Vater geworden war, war voller Sorge, dass, wenn er wieder mal auf Lesereise war, er dadurch seinen Sohn vernachlässigen würde. Der hieß Jonathan, Becker nannte ihn „du olle Kichererbse“, „alte Pudelmütze“ oder „geliebte Telefonklingel“, dann aber auch mal „Mopsfrosch“ oder „Wackelpudding“. Und zwar nannte er ihn so, wenn er ihm wieder eine Postkarte schrieb von einer seiner Lesereisen. Er nahm immer schon von daheim einen Stapel Postkarten mit, für den Fall, dass er unterwegs keine kaufen können würde. 130 Postkarten haben sich erhalten, die Becker seinem Sohn geschrieben hat, vor ein paar Jahren sind sie als Buch herausgekommen. Das Buch heißt: „Lieber Johnny. Jurek Beckers Postkarten an seinen Sohn Jonathan“. Auch Becker schrieb an Johnny mal was von Katzen, in dem Fall aus Heidelberg, und zwar schrieb er: „Meine liebe Telefonklingel, stell Dir vor, ich bin in einer Stadt, da lachen die Autos und die Katzen bellen und die Hunde tuten, und die Feuerwehr macht Kikeriki (…). Bis gleich mein Lieberlieber, Dein Papa.“ Johnny war 1990 auf die Welt gekommen. Aber Becker starb ja so früh, er starb viel zu früh mit nur 59 Jahren, 1997. (Die Postkarte ist zitiert nach der SZ von diesem Wochenende, die ein Plädoyer veröffentlicht hat zum Postkarten-Schreiben.)