In München gibt es rund 150 Gedenkplatten. Die an Häusern erinnern an berühmte Bewohner und Bewohnerinnen, die hier mal gelebt haben. Die einen länger, die anderen nur sehr kurz. Auf den Gedenkplatten ist in der Regel wenig Platz, aber es steht auch deshalb oft das Wesentliche nicht drauf, weil dieses Wesentliche nicht unbedingt schmeichelhaft ausfallen würde für die Stadt. In einem Buch, das gerade bei Allitera erschienen ist, habe ich für 60 Erinnerungsplaketten genau das versammelt, was an Infos fehlt auf den Platten. Das Buch heißt „München leuchtete nicht für jeden. Was Gedenktafeln der Stadt verschweigen“, es kostet 19,90 Euro.
Mir sind bei der Recherche die allermeisten Protagonisten unheimlich ans Herz gewachsen. Sie waren Künstler, Wissenschaftlerinnen, Schriftsteller, Widerstandskämpferinnen, sie waren stadtbekannte Wirte – oder auch der Papst. Die allermeisten von ihnen hatten Träume, und in den seltensten Fällen konnten sie sich ihre Träume, die an die Stadt gekoppelt waren, erfüllen. Das Zeitfenster, musste ich feststellen, in dem München wirklich frei war, war letztlich sehr klein.
Was auf den Gedenktafeln dann so fehlt an wichtigen Erläuterungen? Zum Beispiel, dass Albert Einstein, der ja in München aufgewachsen ist, der mit seiner Familie herkam, als er ein Jahr alt war, sein ganzes Leben voller Schrecken zurückgedacht hat an die Schulzeit an der Isar. Seine Lehrer seien wie „Feldwebel“ gewesen, erzählte er später, er machte dann in der Schweiz sein Abitur – und stellte immer wieder Überlegungen an, den Zusammenhang zwischen Demokratie und Erziehung betreffend. Gottfried Keller, der weltberühmte Autor des weltberühmten Bildungsromans „Der grüne Heinrich“, war hierher gekommen, um Maler zu werden, er bekam hier keinen Fuß in die Tür. Verhungerte fast. Kehrte zurück nach Zürich. Und schrieb dort, was er hier mitgemacht hatte, der „Grüne Heinrich“ ist die Geschichte eines scheiternden Künstlers. Der seine Mutter, das ist Keller schönerweise nicht passiert, mit ins Verderben reißt. Derweil hat die kluge, aparte, immer oder: meist unternehmungslustige Fanny zu Reventlow ihr bequemes Leben, das sie als Gräfin in Lübeck hatte haben können, aufgegeben – um hier an der Isar nur eins zu sein: frei. Sie war dann auch frei – aber nicht in jeder Beziehung. Denn Geld hatte auch sie nie. Die Stadt war schon immer teuer, und schon immer war es nicht leicht, sich neben der etablierten Künstlerszene einen Platz zu erobern.
Ich kann in keiner Stadt mehr unterwegs sein, ohne Gedenkplatten zu entdecken und zu lesen. Jedes Leben enthält die ganze Welt, manchmal bleibt aber von einem Leben nur eine Gedenktafel – und meistens bleibt ja nicht einmal das. In der Stadt haben nur von mir gezählte zwölf Frauen eine Plakette – da sollte man mal nachlegen.
Manche Schicksale haben mich unheimlich erschüttert, dazu gehören natürlich die aller Widerstandskämpfer, des unglaublich beharrlichen Hermann Frieb etwa, der bis zum Schluss in Haft in der NS-Zeit daran glaubte, dass der Sozialismus siegen könnte. Oder das von Willi Graf, natürlich auch das der Geschwister Scholl. Und das von Gustav Landauer, einem Pazifisten durch und durch, Kultusminister in der Räterepublik, die dann so brutal niedergeschlagen wurde. Sie haben ihn in Stadelheim erschlagen und erschossen zugleich, die Leute hatten, das ist vielleicht das am schwersten zu ertragende, geklatscht bei seiner Verhaftung. Weil er keine Wohnung gehabt hatte in München, weil er ja nur auf die Schnelle nach München gekommen war, weil Kurt Eisner, vor ihm erschossen auf offener Straße, ihn um Unterstützung gebeten hatte, bekam er eine Plakette am Dolmetscherinstitut in der Amalienstraße. Er war ja Übersetzer. Auch für ihn hat München alles andere als geleuchtet – dabei war er voller Hoffnung hergekommen. „Meine lieben Bayern haben’s gut gemacht…“, hatte er notiert, als er von der Revolution erfuhr. An seinem Grab in München werde ich demnächst Blumen ablegen.