Andreas Dresen ist ein deutscher Filmemacher, und er ist mit Sicherheit einer der besten deutschen Filmemacher. Er ist Jahrgang 1963, aufgewachsen in der DDR. Er hat einige Filme gemacht, die sich mit der DDR befassen und / oder in der DDR spielen – aber natürlich nicht nur. Er hat ebenso einen Film gemacht über eine türkische Mutter, die ihren Sohn – das Ganze basiert, wie es immer so schön heißt, auf einer „wahren Geschichte“ – aus Guantanamo befreit mit Hilfe eines deutschen Anwalts („Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“), und der neue Film von ihm, der jetzt in die Kinos kommt, spielt in der NS-Zeit, er erzählt von diesem Ehepaar, das Postkarten gegen Hitler in Hausfluren auslegte, in Briefkästen warf. Und seinen Einsatz für die Menschlichkeit nicht überlebte. Der Film heißt „In Liebe, Eure Hilde“. „Sommer vorm Balkon“, dieser sommerlich leichte Film über zwei Frauen in Berlin, ist auch von ihm.
Beim diesjährigen Fünf-Seen-Filmfestival wurden auch ein paar Dresen-Filme gezeigt. „Stille Tage“ etwa, sein Erstling, außerdem „Gundermann“, der vielfach ausgezeichnete Film über den Reinhard Mey der DDR, Gundi Gundermann eben, von dem später rauskam, dass er für die Stasi gearbeitet hat.
Das Tolle an den Filmen von Dresen ist, dass er nie wertet – und dass die Protagonisten immer Ambivalenzen mitbringen. Man braucht, wie man so schön sagt, wenn man die Filme von ihm sieht, eine gewisse Ambiguitätstoleranz, die Fähigkeit, es auszuhalten, wenn jemand auf der Leinwand, den man irgendwie ins Herz geschlossen hat, nicht perfekt ist. Sondern Macken hat, wenn nicht ziemliche Charakterschwächen.
„Stille Tage“ geht über einen jungen Theaterregisseur, der ehrgeizig ist – und dann seinen ersten Job in der Provinz bekommt, es ist die Zeit der Demos, die DDR bröckelt schon. Er will „Warten auf Godot“ inszenieren, aber immer, wenn ein Teil des Stücks steht, wird dieser Teil des Stücks von den politischen Ereignissen überholt – und er muss, was er vorgehabt hat, anpassen. Weshalb er nie Zeit hat für die nette Claudia, die am Ende dann gemeinerweise von einem Westler mit rotem Schal erobert wird. Man mag den Regisseur, dann mag man ihn wieder nicht, vor allem deshalb mag man ihn nicht, weil er nicht macht, was Claudia ihm geraten hat: „Mach doch mal was anderes. Schau mal den Blättern beim Fallen zu.“ Es ist ja Herbst.
„Gundermann“ wird vermutlich so nah wie möglich an den Tatsachen entlang erzählt, der Wahnsinn war ja, dass der reale Gundermann sich bei keinem von denen, die er bespitzelt hat als IM, entschuldigt hat. Aber irgendwann las er seine Täterakte, er sagt zu seiner Frau, er habe komplett vergessen gehabt, was er eigentlich alles gemacht und geschrieben hat für die Stasi, er sitzt im Bademantel des inzwischen gestorbenen Vaters in seinem Zimmer und ist ziemlich fertig. Dann besucht er der Reihe nach alle, die er verraten hat, aber eben, die Worte: „Es tut mir leid“ kommen nie über seine Lippen. Einem Puppenspieler, über den er auch Infos an die Stasi weitergegeben hatte, sagte er: „Ich hab dir ja nicht geschadet“, darauf der Puppenspieler, und das war ja genau der Punkt: „Aber das hast du ja nicht gewusst.“
Gundermann war Kommunist. Die Stasi, die wusste, dass er ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater gehabt hatte, ging väterlich mit ihm um. Das könnte ihn verführbar gemacht haben. Irgendwann bei einem Konzert in der Humboldt-Uni sagte er zur Überraschung übrigens auch seiner Band dem Publikum, dass er für die Stasi gearbeitet hatte. Von wann bis wann. Er sagte, er könne sich nicht einfach entschuldigen. Aber er wisse, dass er selbst sich, was er gemacht hatte, nie verzeihen werde. Es wurde damals still im Publikum, auch im Film kommt diese Szene vor. Keiner ging. Dann spielte er das erste Lied. Und die Leute klatschten.
Andreas Dresen war beim Filmfest einer der Ehrengäste, schönerweise kam er nach beiden Filmen zum Filmgespräch. Er sagte, was mir imponiert hat, dass er selbst nicht weiß, wie er gehandelt hätte, wäre er an Gundermanns Stelle gewesen. Ich mochte, dass er sich moralisch nicht über seinen Filmhelden stellt. „Die Stasi war geschickt“, sagte er.
Zwölf Jahre hat er an „Gundermann“ gearbeitet, für den er lang keinen Verleih gefunden hat. 2018 ist der Film dann endlich rausgekommen.
Andreas Dresen hat mit dem Schauspieler, der Gundermann spielte, Alexander Scheer, eine Band gegründet, mit der er immer wieder auftritt.
Gundi Gundermann ist mit 43 gestorben, plötzlich, völlig unerwartet. Sein Intermezzo bei der Stasi hat ihm letztlich künstlerisch nicht geschadet. Er nahm nach der Wende noch zwei Platten auf und schrieb ein Buch. Der Witz ist, dass er, der den Staat immer wieder auch kritisiert hatte, später selbst verschärft beobachtet wurde von der Staatssicherheit. Aber seine Opferakte, als er in der Gauck-Behörde danach fragte, gab es nicht mehr.
„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ ist gerade in der Arte-Mediathek. Der Star des Films ist natürlich die türkische Mama, die alles macht für ihren Sohn, die aber, wie man am Ende dann checkt, auch keine Heilige ist. Eine echte Dresen-Figur eben.