Lena Goreliks neuer Roman „Wer wir sind“ ist eine dieser Autobiographien, wie sie jetzt reihenweise rauskommen – und zum Teil sehr zu empfehlen sind. Die Autorin berichtet darin von ihren zwei Leben, die lange nicht zusammen passten, sie lebte ja, bis sie elf war, mit ihrer Familie in St. Petersburg, der „schönsten Stadt der Welt“, wie alle um sie herum fanden. Dann beschlossen die Eltern, mit der Oma und den Kindern nach Deutschland zu gehen, als Kontingentflüchtlinge. Am 2. Mai 1992 mitten in der Nacht ging der Zug, und als sie in Stuttgart ausstiegen, war Lena, schreibt sie, nicht mehr das selbstbewusste Mädchen mit der immer „zu großen Klappe“, das sie bisher gewesen war, sondern sie war fremd, unsicher – und viel allein. Auch die Eltern konnten ihr kaum helfen, die lernten ja langsamer Deutsch als sie und hatten selbst auch zu kämpfen im neuen Zuhause. Die Qualifikationen, die sie hatten: zählten hier alle nicht. Beide sind Ingenieure, hier fanden sie nur Jobs, die weit weniger von ihnen verlangten, als sie konnten. Lena derweil versuchte, alles in sich auszulöschen, was Russisch war – heute, schreibt sie, ist sie froh darüber, dass ihr das nie ganz gelang. Was die zwei Leben, die sie hat, ausmacht – das beschreibt sie immer wieder anhand von Wörtern. „Mögen“ etwa gibt es im Russischen nicht, „dieses Verb ist“, schreibt Lena Gorelik, „für uns irgendwie zu klein oder zu kleinlich“. Ihrem Roman ist ein sehr schönes Gedicht von Bulat Okudzhava vorangestellt, einem russischen Dichter und Chansonnier, es geht so: „Jeder schreibt, wie er hört, / Jeder hört, wie er atmet, / Wie er atmet, so schreibt er, / Versucht nicht, zu gefallen dabei.“