„Lebhafte Erschöpfung“

2. Februar: Geburtstag von James Joyce. Heuer, 2022, wäre er 140 geworden, also war er 40 vor 100 Jahren, und genau an seinem 40. ist auch sein berühmtestes Buch erschienen – die ersten beiden Exemplare von „Ulysses“, mit dem er die Literatur auf den Kopf gestellt hat, waren heraußen. Er selbst war ziemlich k.o., er beschrieb seinen Zustand als „lebhafte Erschöpfung“.

Sieben Jahre hatte er an dem 1000-Seiten-Ding geschrieben, wobei er sich immer mehr in den Kopf seines Protagonisten hinein- und aus der Handlung weggeschrieben hatte. Es ging ihm mehr um den „Bewusstseinsstrom“ im Hirn von Leopold Bloom als darum, was der aktuell gerade machte. Soviel wäre da eh nicht möglich gewesen, denn Ulysses spielt bekanntlich an einem einzigen Tag, einem 16. Juni, seither „Bloomsday“, an dem James Joyce seinerzeit, also 1904, erstmals mit seiner späteren Frau Nora Barnacle spazieren gegangen war.

Er hatte dann den Ehrgeiz, das Buch bis zu seinem 40. Geburtstag fertig zu kriegen, aber weil er das erst knapp, also ein Jahr, vor dem 2. Februar 1922 beschlossen hatte, wurde das Ganze ein Wettrennen mit der selbst gesetzten Deadline. Zu keiner Zeit betrachtete er, was fertig war, schon gesetzt war, als auch wirklich gut so, er redigierte ständig das komplette Manuskript und trieb damit die Druckerei in den Wahnsinn. Während der Korrekturen wurde das Buch um ein Drittel dicker. Als er drei Monate vor Erscheinen wieder mit einem Zusatz ankam, winkte der erschöpfte Drucker, dessen Name lustigerweise überliefert ist – er hieß Darantiere – nur müde ab. Es sei jetzt wirklich zu spät.

Genau einen Tag vor dem Geburtstag, am 1. Februar 1922, hatte Darantiere die ersten zwei Ausgaben fertig. Er war in Dijon ansässig, und er gab die Bücher, die übrigens voller Druckfehler waren, dem Schaffner des Schnellzugs Dijon-Paris mit, und Sylvia Beach, Inhaberin der legendären Buchhandlung für englischsprachige Literatur, Shakespeare and Co, die sich bereit erklärt hatte, den Roman auf eigene Faust herauszubringen, nachdem Vorabdrucke wegen „Obszönität“ eingestellt worden waren, holte die zwei Exemplare dieses bald hochberühmten Werks am Bahnhof ab. Brachte eines davon zu James Joyce, der damals in Paris lebte. Das andere wanderte natürlich in ihre Buchhandlung. Angeblich hat Joyce, der sich so lang in einem fremden Hirn aufgehalten hat, ein Jahr nach all den Turbulenzen nichts mehr geschrieben.