Vom Glück, den Schlüssel im Schloss zu hören

Eine der schönsten Liebeserklärungen ans Leben, gleichzeitig eine Ermunterung, die Schönheit des Lebens im Kleinen zu sehen, ist das Gedicht „Augenblicke“ von Jorge Luis Borges. Ausgerechnet von Borges, der immer so streng war mit sich und seiner Arbeit. Darin heißt es an einer Stelle: „Wenn ich noch einmal mein Leben leben könnte, / würde ich im nächsten Leben versuchen, mehr Fehler zu machen. / Ich würde nicht versuchen, so perfekt zu sein; / (…) Ich würde an mehr Orte gehen, an die ich nie gegangen bist, / würde mehr Eis und weniger Bohnen essen. (…) Falls ich nochmals leben könnte, würde ich mit leichterem Gepäck verreisen. / (…) Ich würde öfter Karussell fahren, würde mehr Morgendämmerungen betrachten und würde mit mehr Kindern spielen (…)“, und zum Schluss dann: „Aber was soll’s, ich bin schon 85 Jahre und weiß, dass ich bald sterben werde.“ Ich hab das Gedicht mal mit ein paar Schülern gelesen, denen sollte ich in der Montessori-Schule sowas wie Deutsch-Nachhilfe geben. „Das ist ja end-traurig“, meinte eins der Mädchen. Ja, irgendwie auch.

Jetzt bin ich auf eine ähnliche Stelle gestoßen in dem Roman „Die Herrenausstatterin“ von Mariana Leky. Die Protagonistin war erst glücklich verheiratet, dann sagte ihr Mann zu ihr sowas wie: „Ich will immer mit Dir zusammen bleiben, wenn das möglich ist“ und schaute dabei ziemlich traurig. Dann hatte er eine Geliebte, dann starb er bei einem Unfall. Die Protagonistin kommt mit all dem überhaupt nicht mehr zurecht, sie verliert ihren Job, aber wenigstens hat sie jetzt diesen einen, leicht seltsamen Begleiter. Der immer da ist. Ein Typ, der eigentlich schon gestorben ist, jetzt wieder alles machen kann, nicht essen muss, ein Fantasie-Freund, wenn man so will.

Irgendwann sind sie, mit noch zwei anderen, im Urlaub, sie gehen nachts zum Schwimmen ins Meer, und Blank, der Tote, sonst immer sehr cool, kommt aus dem Wasser und weint. „Ich vermisse das alles“, sagt er zur Protagonistin, „Sie werden nicht glauben, wie ich alles vermisse, und ganz besonders vermisse ich all das, was ich schon immer vermisst habe, das Meer zum Beispiel“, und er sagt weiter: „…ich bin nicht genug am Meer gewesen, verstehen Sie, ich vermisse auch das, was ich nie gekannt habe, Karate zum Beispiel, ich vermisse den Mond und diese Lasagneschale, ich vermisse es, meine Schuhe an- und auszuziehen, ich vermisse“, er ist Altphilologe gewesen, „den Ablativ…“. Ich hab das gelesen, die ganze Liste dessen, die Blank vermisst, seine „nichtssagenden Topfpflanzen in meinem Büro, Gewitter, das Geräusch eines Schlüssels in einer Wohnungstür…“, und dann hab ich mir wieder mal vorgenommen, ein weiteres Mal, mehr drauf zu achten, wenn Gewitter ist, dass Gewitter ist, wenn sich ein Schlüssel dreht im Schloss: dass sich ein Schlüssel dreht im Schloss. Und wie schön das ist.