„… wir sehen die anderen und erkennen uns selbst“

Gerade erschienen: Benedict Wells hat über das Schreiben geschrieben

Benedict Wells ist ein Ausnahmetalent als Schriftsteller, und er gehört zur inzwischen eher kleinen Gruppe deutscher Autoren, die nach amerikanischem Vorbild klassische Romane schreiben. Mit erfundenem Personal, mit ausgedachter Handlung, wobei natürlich Handlung wie Personal immer viel mit ihrem Erfinder zu tun haben. Die Handlungen müssen ja emotional durchlebt worden sein, ehe man sie zu Papier bringen kann. Jetzt hat Wells, der der Cousin von Ferdinand von Schirach ist, der seinen Familiennamen ablegte, um sich abzugrenzen von den „schrecklichen Taten und Worten meiner deutschen Familie während der NS-Zeit“ und sich benannte nach Homer Wells aus Irvings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, ein Buch über das Schreiben geschrieben. Es hat den schönen Titel: „Die Geschichten in uns. Vom Schreiben und vom Leben.“

Das Buch ist, schreibt er gleich zu Beginn, das Ergebnis des gescheiterten Versuchs, mal kein Buch mehr zu schreiben. Wells hat hohe Ansprüche an sich und seinen Beruf, an seinem vorletzten Roman „Vom Ende der Einsamkeit“ hat er sieben Jahre gearbeitet. Die erste Fassung war 800 Seiten lang. X Fassungen hat er ent- und dann wieder verworfen.

Wie Stephen King in „Das Leben und das Schreiben“ erzählt auch Benedict Wells, Jahrgang 1984, im ersten Teil von „Die Geschichten in uns“ von sich. Von seinem Aufwachsen, davon, was Literatur ihm immer bedeutet hat, was es hieß für ihn, zu schreiben. Es war auch immer neben den beflügelnden Momenten des Geschichten-Erfindens: eine Qual. Gleichzeitig war Schreiben für Wells, und das ist ja beim Biographischen Schreiben nicht anders, eine Möglichkeit, mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Er schreibt: „Ich habe Schreiben gelernt, um Gefühlen nicht mehr ausgeliefert zu sein, sondern sie ins Bewusstsein zu holen und mit Menschen zu teilen, die mir wichtig sind.“

Ich empfehle sein Buch hier aber nicht, weil ich finde, dass eine Biographie professionell geschrieben sein sollte – und Wells‘ Buch ist ja im zweiten Teil eine Anleitung zum professionellen Schreiben. Ich empfehle das Buch, weil es eben sehr bewegend ist, den ersten Teil zu lesen, Wells bemüht sich um größtmögliche Aufrichtigkeit. Und dann er ist einfach ein sorgfältiger Formulierer, es ist immer ein Vergnügen, seine Texte zu lesen.

Schließlich: sind ein paar seiner Tipps eben doch anwendbar aufs Biographische Schreiben. Auch beim Notieren der eigenen Erinnerungen sollte man am Ende ruhig Mut zur Lücke zu beweisen – nicht jedes Neben-Ereignis muss Berücksichtigung finden im Text. Wobei man sich beim ersten Runterschreiben darüber am besten noch keine Gedanken macht; erst in einem zweiten Arbeits-Durchgang, wenn die erste Version bereits vorliegt, entscheidet man, welche Text-Bausteine übernommen werden sollen in die Biographie und welche eben nicht.

Benedict Wells: „Ich wurde einmal gefragt, wieso ich schreibe, und ich habe gesagt, weil ich schief zur Welt stehe. … So ein Satz klingt stimmig, ist aber noch immer nicht die Antwort. Denn Erzählen, ob mündlich oder schriftlich, holt uns vielmehr erst in die Welt. Es macht uns greifbar und gibt uns die Möglichkeit, das Erlebte zu teilen. Ich glaube an die ,Unschärferelation‘ in der Literatur: dass Texte sich allein dadurch verändern, dass andere Menschen darauf geblickt haben, obwohl die Worte selbst gleich geblieben sind. Im besten Fall fühlt man sich in der Geschichte von anderen verstanden, so wie diese sich umgekehrt von einem gesehen fühlen. Wir reden von uns und meinen die anderen, wir sehen die anderen und erkennen uns selbst.“