August Kühn war ein Münchner Schriftsteller, geboren im Westend, drei Jahre vor Kriegsbeginn. 1938 mussten die Eltern München verlassen, sie flohen vor den Nationalsozialisten in die Schweiz, der Vater war jüdischer Abstammung. Nach dem Krieg kehrten sie zurück. Im Westend roch es damals nach Gummi, wegen einer dort ansässigen Gummifabrik. Kühn fing nach der Schule und einer Lehre an, was sich eigentlich zufällig ergeben hatte, bei einer Lokalzeitung zu arbeiten, er entdeckte das Schreiben für sich, und als er mal Oskar Maria Graf bei dessen zweiten München-Besuch interviewte (beziehungsweise zu interviewen versuchte, denn Graf sagte erst sehr wenig und dann, im Wirtshaus, sehr viel), fragte er ihn zum Schluss noch, ob er es wagen könne, es selbst auch wie Graf als Schriftsteller zu versuchen? Graf lachte – und sagte ihm: „Die Leut mögen sich eh schon nicht, keiner mag mehr den anderen. Und wenn’st schreibst, dann mag dich schon gar keiner mehr. Aber wenn’st schreiben willst, dann red nicht lang davon, tu es einfach.“
Kühn war sechsfacher Familienvater, und er schaffte es dann tatsächlich, das Geld für die Familie als Autor zu verdienen. Sein berühmtester Roman ist die Geschichte seiner Familie, er heißt „Zeit zum Aufsteh’n“ und behandelt eine Zeitspanne von rund 100 Münchner Jahren. Sehr lesenswert.
Aber schon damals, als jedes kleinere Städtchen, das etwas auf sich hielt, selbstverständlich noch eine Buchhandlung hatte, hatten Schriftsteller natürlich Mühe, sich finanziell über Wasser zu halten. Deshalb machte sich der kühne August Kühn, dessen Geburtsname eigentlich Helmut Münch gewesen war, 1984 auf zu einer sehr speziellen Reise: Zu Fuß, per Anhalter, mit dem Zug ging oder fuhr er von Reit im Winkl bis Flensburg. Legte 11.000 Kilometer zurück. Und unterwegs machte er in 277 Buchhandlungen in 51 Städten auf seine Situation als Schreibender aufmerksam, in 62 Zeitungsredaktionen (in 34 Städten) gab er Interviews genau zu dem Thema, er veranstaltete Lesungen und wollte von den Leuten wissen: “ Wieviel sind Ihnen Ihre Dichter wert?“ Ergebnis: Neben der „weithin zu erfahrenden Lauheit, Gleichgültigkeit“ war durchaus auch „Interesse an Literatur, an Kultur allgemein“ zu spüren. Er schrieb: „Daß es nicht wahrgenommen wird, daß es eine Mehrheit damit bewenden läßt, ihr Kreuz auf Papier zu malen, wenn ein Wahlsonntag ist, statt immer und jederzeit mit freiem Wort und freier Schrift zu öffentlicher Meinungsbildung bei öffentlichen Dingen beizutragen, halte ich für ein erschreckendes Duckmäusertum, für die Lauheit, die sich unser Land keinen Tag länger leisten darf.“
Auch über dieses ziemlich coole Projekt hat August Kühn ein Buch geschrieben, es heißt „Deutschland – ein lauer Sommer“. Man sollte nicht nur wieder seine Bücher lesen. Eine Reise, wie er sie gemacht hat, wäre heute nötiger denn je.
Erst vor kurzem hat die überaus renommierte Buchhandlung Storm in Bremen, die auch eine große Jazz-Abteilung geführt hat, Insolvenz anmelden müssen.
Kühn wurde übrigens 1982 ausgezeichnet mit dem Ernst-Hoferichter-Preis. Aber weil er in der DKP war, weigerte sich Münchens zweiter Bürgermeister Winfried Zehetmeier, ihm den Preis persönlich zu übergeben.