Den Wind im Feld fangen

22. Juni 2021 – denkwürdiges Datum. Heute vor 109 Jahren begann Napoleon seinen Russland-Feldzug – und heute vor 80 Jahren fielen die Deutschen, die offenbar von Napoleon nichts lernen hatten wollen, in der Sowjetunion ein. Ihr „Unternehmen Barbarossa“ führten sie als apokalyptischen Vernichtungsfeldzug – mit dem Ziel, ganze Staaten auszulöschen. Am Ende waren 27 Millionen Sowjetbürger tot.

Dass, wer diesen Krieg mitmachen musste, wer irgendeinen Krieg mitmachen musste, den dann nie mehr in sich auslöschen kann: Das beschreibt unheimlich eindringlich der österreichische Schriftsteller Arno Geiger in seinem Roman „Unter der Drachenwand“. Sein Protagonist, Veit, ist Soldat der Wehrmacht, nach einer Verletzung kann er ein Jahr zuhause verbringen. In diesem Jahr 1944 spielt der Roman, der offenbar auf einer wahren Geschichte beruht. Schmerzlich gesteht sich Veit irgendwann ein:  „… dass ich tatsächlich und unwiderruflich in diesem Krieg bleiben würde, egal, wann der Krieg zu Ende ging und was aus mir noch wurde, ich würde für immer in diesem Krieg bleiben als Teil von ihm.“

Und natürlich übermannt ihn immer wieder die Erinnerung. Einmal hören er und ein Freund, mit dem er abends beieinander sitzt, irgendwo Frösche quaken, und er muss an das „sogenannte Auskämmen der Wälder“ denken: „Und wenn man einen Partisanen oder eine Partisanin erschossen hatte, war es, als hätte man den Wind im Feld gefangen, von unserer Warte gesehen, die Wirkung blieb aus, es war alles total sinnlos, grauenhaft, unmenschlich. Und dann weiter bei größter Hitze in riesigen, urwaldähnlichen Gebieten viele Kilometer gehen, und ständig quakten die Frösche, qua-qua.“

Das Buch vermittelt einem eine Ahnung davon, was die Väter und Großväter, die im Krieg gewesen sind, mit sich herumtrugen – und ja letztlich mit niemandem besprechen konnten. Mal ganz abgesehen davon, was sie selbst vielleicht in diesem Krieg getan haben.