Mein Großonkel Johann und der Erste Weltkrieg

Die Passauer Strafakte von Johann.

Man muss nicht in Archiven recherchieren für die eigene Familiengeschichte. Aber man kann – und manchmal macht man dort überraschende Entdeckungen. Hier ein paar Hinweise, die Archiv-Anfängern vielleicht helfen, die Schwellenangst zu überwinden.

Sollten männliche Vorfahren im Jahr 1914 älter gewesen sein als 15, 16 – dann lohnt es sich, nach ihnen mal in den Kriegsarchiven der jeweiligen Bundesländer zu suchen. Weil es nicht unwahrscheinlich ist, dass sie im Ersten Weltkrieg eingezogen worden sind. Jedenfalls in der bayerischen Armee, aber wahrscheinlich auch anderswo, ist dieser Wahnsinns-Krieg, von dem niemand gedacht hatte, dass er sich so in die Länge ziehen würde, unheimlich detailliert dokumentiert worden.

Man kann für jede Einheit für so gut wie jeden Tag die Tagesbefehle nachlesen. In den sogenannten „Kriegsstammrollen“ wurden die Soldaten namentlich erfasst, es wurde eingetragen, in welcher Einheit sie gedient haben, wo sie eingesetzt waren, welche Auszeichnungen sie bekamen, ob sie verletzt wurden. Die Eltern sind vermerkt, ihre Berufe. Dann gibt es noch die Rubrik „Sonstiges“, und unter der habe ich für einen Großonkel von mir, von dem die ganze Verwandtschaft nichts wusste, von dem mir aber meine Mutter in einem Nebensatz erzählt hatte, den Eintrag „Strafanstalt“ entdeckt. Mit Hilfe des sehr netten Archivars im Kriegsarchiv in der Münchner Leonrodstraße 57 habe ich weitere Akten bestellt – und am Ende, in einer blauen Mappe, die für mich ausgehoben worden war zusammen mit fast einem laufenden halben Meter anderer Unterlagen, konnte ich dann nachlesen, dass er zweimal den Gehorsam verweigert hatte, „vor versammelter Mannschaft“. Er trat, ehe es für ihn und die Kameraden Kaffee geben sollte, einfach nicht ordentlich vor. Er hatte seinen Rock nicht an, er salutierte nicht gescheit, er schlurfte „mit höchst nachlässigem Schritte“ vor den vorgesetzten Unteroffizier, und dann sagte er: „Ich brauche überhaupt keinen Kaffee“ – und scherte einfach aus und ging davon. Zehn Monate saß er deshalb in Passau-Oberhaus ein, im Gefängnis. Dann meldete er sich freiwillig zurück an die Front, ich weiß es nicht, warum. Drei Monate später war er tot. Er hieß Johann Schramm. Er wurde 21.

Unter ancestry.de sind die Kriegsstammrollen der Bayerischen Armee auch online einsehbar.