„… dann ist kein Satz, kein Wort von mir etwas wert“

Der Schauspieler Edgar Selge hat über sein Aufwachsen einen Roman geschrieben, der unheimlich toll ist und den ich hier schonmal vorgestellt habe. Er heißt: „Hast du uns endlich gefunden“, er erzählt darin seine Geschichte aus der Perspektive des zehnjährigen Jungen, der er einmal war. Viel geht es auch ums Schweigen der Eltern, die beide in der NS-Zeit sozialisiert worden sind, und es geht darum, dass die älteren, sehr aufgeweckten Brüder von Edgar Selge die Eltern ziemlich unter Druck setzten, um dieses Schweigen endlich zu brechen. Es gelang ihnen nicht wirklich, beziehungsweise gelang es, aber anders, als die Brüder sich das vorgestellt hatten. Beide Eltern, schreibt Selge jetzt aus aktuellem Anlass in der SZ, sind später nach Auschwitz gefahren und waren auch in Israel. 

In seinem SZ-Beitrag geht Edgar Selge nochmal ein auf das Schweigen der Eltern, er erzählt vom Theater der 70er Jahre, das gesellschaftlich immer relevant sein musste, er schreibt über Antisemitismus. Über den Antisemitismus von heute. Er schreibt: Wenn es so ist, dass jüdische Menschen seit dem 7. Oktober in Deutschland nicht sicher sein können vor Angriffen und offen zu Schau getragener Verachtung, „dann hat das Folgen für mich persönlich: Ich habe keine Identität in diesem Land, wenn jüdisches Leben hier nicht geschützt ist“. Und: „Hier bei uns Deutschen muss der sicherste Ort überhaupt für sie sein.“ Außerdem: „Wenn jüdisches Leben hier nicht sicher ist, dann bin ich auch nicht sicher, dann ist kein Satz, kein Wort von mir etwas wert.“

Er schreibt, seine Liebe zu den Eltern schließe inzwischen ihr Schweigen mit ein, das Schweigen, das sie an ihn weitergegeben haben. Er schreibt, seine Eltern seien nicht unfähig gewesen zu trauern, „sondern sie waren unfähig, ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen“. Um diesen Unterschied zu erkennen, habe er ein ganzes Leben gebraucht. Auch darüber, was die Reisen nach Auschwitz und Israel mit ihnen gemacht haben, sprachen die Eltern von Edgar Selge nicht. Am Schluss zitiert er Robert Habeck, der in seiner Ansprache zum Thema gemeint hat, die unverbrüchliche Solidarität mit jüdischen Menschen in unserm Land dürfe um keinen Preis mit einer Verurteilung der bei uns lebenden Muslime verknüpft werden.

Ich bin froh, dass Edgar Selge das alles geschrieben hat.