Der Wahnsinn von Dünkirchen

2002 erschienen: Ian McEwans Roman "Abbitte", der im zweiten Teil im Frankreich des Zweiten Weltkriegs spielt.

Wessen Vater / Großvater im Zweiten Weltkrieg in Frankreich gekämpft hat, wessen Vater / Großvater im Zweiten Weltkrieg eingezogen gewesen ist, wessen Vater /Großvater überhaupt mal an Kriegseinsätzen teilgenommen hat: Für den ist „Abbitte“ von Ian McEwan vielleicht eine gute Lektüre. Der Roman ist umwerfend. Und beschreibt eben im zweiten Teil, wie der Protagonist, Robbie Turner, mittlerweile Soldat, sich mit seinen Kameraden durchschlägt nach Dünkirchen – in der Hoffnung, dort noch evakuiert werden zu können. Was dann ja auch passiert, im Rahmen des sogenannten „Wunders von Dünkirchen“. Das allerdings, liest man bei McEwan, viel viel chaotischer, unkoordinierter, unglaublicher gewesen ist und damit also noch viel Wunder-haltiger, als man sich das gemeinhin vorgestellt hatte. Was der Marsch an die Küste bedeutet hat, während man immer wieder von deutschen Sturzkampfbombern angegriffen wurde, wie fix und fertig die Beteiligten gewesen sind, körperlich wie psychisch: Das beschreibt McEwan mehr als meisterhaft.

Gleichzeitig ist der Roman eine mehrfach verschachtelte Liebesgeschichte, bei deren Wiedergabe sich die Erzählerin ein paar Freiheiten genommen hat, um das Geschehen erträglicher zu machen, was man am Ende erfährt. Und es ist, natürlich, das ist ja das eigentliche Thema, die Geschichte einer fatalen Lüge. „Abbitte“ ist der Roman, mit dem McEwan sich „endgültig“, wie der Tages-Anzeiger in Zürich meinte, „in die englische Literaturgeschichte eingeschrieben“ hat, und vielleicht ist es sogar sein bester Roman.