„Jeder für sich und Gott gegen alle“, heißt das Buch – und damit genau so wie der Film, den Herzog in den 70er Jahren über Kaspar Hauser gedreht hat. Dass das Ganze nicht geeignet ist, um es Kindern vor dem Schlafengehen vorzulesen, hat natürlich vor allem damit zu tun, dass das Leben, das Herzog, Jahrgang 1942, darin beschreibt, nämlich seins, nicht auf einem Ponyhof stattfand.
Er wurde in München geboren, wegen der Bombenangriffe floh die Mutter mit ihm und dem älteren Bruder nach Sachrang nahe der österreichischen Grenze. Den Vater beschreibt Herzog gelinde gesagt als schwierig, selbst seine Mutter habe über ihn nicht als „Dieter“ geredet, sondern als „das Arschloch“. Aufgewachsen ist Herzog in Armut, mit Hunger, und in die Pension, in der die Familie untergekommen war nach Kriegsende, zog irgendwann auch Klaus Kinski ein. Herzog wusste also genau, worauf er sich einließ, als er später mit ihm arbeitete. Meist lief Kinski zuhause nackt herum, und gegessen hat er mit den Händen.
Was Herzog bei seinen aufwendigen Dreharbeiten alles so erlebt hat: wäre allein einen Film wert, und diesen Film würde man dann vermutlich einordnen in der Kategorie „Thriller“. „Fitzcarraldo“ etwa drehte Herzog im Urwald in Peru, wo es zu zwei Flugzeugabstürzen kam, wo damals die Regenzeit besonders heftig ausfiel, wo sich dann ein Mitarbeiter, den eine giftige Schlange gebissen hatte, den Fuß mit der Kettensäge abtrennte, um überhaupt zu überleben. Jack Nicholson hatte eigentlich mitspielen wollen, was aber nicht ging, denn er war nicht bereit, ein Basketballspiel der Los Angeles Lakers sausen zu lassen.
Wie klingt, was man so lesen kann über das Buch, hält sich Herzog darin aber nicht mit Selbstmitleid auf, denn: „Die Kultur der Wehleidigkeit ist mir zuwider.“ Und er wusste ja längst, wie Leben sein kann, nicht nur die Jugend hatte ihm das beigebracht, auch die selbstgewählten Abenteuer, etwa der Aufenthalt im Sudan, wo er die Amöbenruhr kriegte, dann von einer Ratte gebissen wurde und „nur noch blutigen Schaum“ schiss.
Am besten an der ganzen Biographie finde ich eigentlich, wie sie endet. Herzog wusste nicht genau, wie er seinen Bericht auf würdige Art auslaufen lassen könnte. Da flog ein Kolibri durchs Fenster in sein Arbeitszimmer, er wertete dies als Zeichen und nahm genau in dem Moment die Finger von der Tastatur. Es war mitten im Satz.
Davon, irgendwelche Schlüsse zu ziehen aus seiner entbehrungsreichen Kindheit, hielt er übrigens nichts. Die Psychoanalyse betrachtet er als eine der schlimmsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts, er schreibt: „Ich wäre auch lieber tot, als zu einem Psychoanalytiker zu gehen.“