„Er dachte beim Gehen ans Liegen“

Alle drei Bücher von Monika Helfer, erschienen bei Hanser.

Die Bücher von Monika Helfer wollte ich hier schon lang empfehlen. Zum ersten, das „Die Bagage“ heißt und über ihre Großmutter geht, die unheimlich attraktiv gewesen sein muss und im Ersten Weltkrieg dann allein ist mit den Kindern, weil ihr Mann eingezogen wurde, hatte ich auch schon was geschrieben. Aber dann war soviel anderes, und irgendwann war dann auch schon der zweite Band da. Der heißt „Vati“, geht über den Papa – und ist auch sehr berührend. Der Vater war ein Büchermensch, er liebte von den Kindern am meisten den Sohn, der Richard hieß und den er „Löwenherz“ nannte – und er wurde nicht fertig damit, dass seine Frau früh starb. Die Kinder wurden auf die Verwandtschaft verteilt, er selbst zog sich ins Kloster zurück und war noch da, aber praktisch nicht mehr erreichbar.

Das dritte ihrer drei Bücher über die eigene Familie, das letztes Jahr herauskam, hat eben den Bruder zum Inhalt, es heißt auch „Löwenherz“. Ich finde, es ist das beste ihrer Bücher, Richard ist ein unheimlich anrührender Protagonist, der malt, aber die Menschen auf den Bildern haben alle keine Gesichter. Irgendwann läuft ihm ein Hund zu, dann serviert ihm das Leben auch auf dem Silbertablett ein Kind, er verliert alles – und dann auch die Kraft, zu leben. Man darf das schon verraten – denn es ist von Anfang an klar. Das Schöne am Buch ist auch, dass es eine zweite Ebene hat, immer wieder unterhält sich Helfer während des Schreibprozesses mit ihrem Mann Michael Köhlmeier, der ja auch Schriftsteller ist. Sie reden über Richard, zu dem er einen guten Draht hatte. Die Geschichte ist ein Sich-Herantasten an das, was im Bruder vorgegangen sein mag, warum am Ende passierte, was passierte. Und die Sprache von Monika Helfer ist ohnehin immer sehr schön. Beispiel folgt gleich. Spannend wiederum am ersten Buch, der „Bagage“, ist, dass sie die großen Kapitel alle einleitet damit, dass sie Fotos beschreibt, die sie noch hat von der Großmutter. Das ist übrigens auch eine Möglichkeit, die verschiedenen Kapitel in der eigenen Biographie zu eröffnen.

Hier jetzt noch eine Stelle aus „Löwenherz“, gleich am Anfang wird Richard so beschrieben: „So war mein Bruder Richard: Er dachte beim Gehen ans Liegen, beim Sitzen ans Liegen, beim Stehen ans Liegen, sogar beim Fliegen dachte er ans Liegen.  Dachte immer ans Liegen. Er schlenderte vor sich hin auf seinen verqueren Beinen, wohin sie ihn eben führten, vor sich hin, der Kopf nämlich den Beinen voraus, der wurde ja nicht von der rauen Erde gebremst. Er hob flache Steine auf, ließ sie übers Wasser hüpfen, gern war er beim Wasser. … Mein Bruder hatte den ganzen Tag über den ganzen Himmel in den Augen, …“ Das Buch erzählt aber auch ein wenig über sie und ihre andere Schwester, einmal schreibt sie: „Ich ließ die Gedanken schweifen, ich glaube, damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl glücklichen Alleinseins, nach dem ich mich bis heute sehne und das sich nicht machen lässt, es kommt oder kommt nicht.“

Die Bücher von Monika Helfer sind alle drei sehr besonders, das besonderste ist „Löwenherz“.