Auch der Hanser-Verleger Jo Lendle hat jetzt einen Teil seiner Familiengeschichte aufgeschrieben, zu Unrecht ist sein Roman „Eine Art Familie“ im Hype um Edgar Selges tolles Debut ein wenig untergegangen.
Lendle erzählt auf der Basis von Briefen, Tagebüchern, dem wissenschaftlichen Nachlass von seinem Großonkel Lud, der Professor für Pharmakologie gewesen ist, im Gegensatz zur Mutter und zu seinem Bruder zwar zu keiner Zeit Hitler-Anhänger war, sich aber nicht widersetzt, als er den Auftrag bekommt, über Giftgas zu forschen. Er ist homosexuell, konnte seine Sexualität aber nicht leben – und wohnt statt dessen zusammen mit seiner Haushälterin, dem Fräulein Greiner, und der sehr patenten Alma, seinem Patenkind, das früh Waise wurde und kaum jünger ist als er.
Die drei lesen zusammen viel beziehungsweise liest Lud seinen Mädels gern vor, sie mögen Musik. Lud und Alma schreiben einander auch, wenn Lud mal wieder beruflich unterwegs ist, und in Ermangelung an Bekannten, denen sie sonst schreiben könnte, adressiert Alma schönerweise weitere Briefe, die sie eben gern zu Papier bringt, einfach „an meine Umgebung“. Den letzten Brief im Buch schreibt sie sich selbst.
Als der Krieg längst aus ist, er mehrfach geehrt worden ist, gesteht Lud der Freundin seines Lebens: „Die Schuld, die ich auf mich geladen habe, das wird mir in den letzten Monaten immer deutlicher, betrifft Hermann Freund, meinen Vorgänger in Münster. Ich hätte ihn nicht retten können. Aber ich habe nicht versucht, ihn zu retten. Im Abgrund zwischen diesen Sätzen versinkt mein Leben.“
Das ist das Dilemma seiner Generation: Wer es überhaupt wagte, gegen das Regime zu denken oder auch zu handeln, wusste gleichzeitig immer, dass nie genug sein würde, was er dachte, wie er handelte. Das Verbrechen der anderen war immer zu groß.
Und, auch das noch schnell: Man kann auch die eigene Biographie erweitern durch Briefe, die man Familienmitgliedern oder Freunden schreibt – wenn man das Gefühl hat, dass man ihnen noch was sagen will.