„Nichts, woran wir uns erinnern, ist objektiv“

Im SZ-Magazin war vor kurzem ein Interview mit dem Schriftsteller Ferdinand von Schirach, in dem es natürlich übers Schreiben geht. Und auch über den Großvater von von Schirach, Baldur von Schirach, einen der Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten, der in Nürnberg zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Von Schirach sagt in dem Gespräch einige Sachen, die auch fürs Schreiben von Biographien gelten, sein aktuelles Buch „Nachmittage“ besteht aus 26 meistens autobiographischen Geschichten. Er meint, es sei schwieriger, über sich selbst zu schreiben als über Erfundenes: „Die Wahrheit kann ohnehin niemand erzählen. Wir kennen sie nicht. Nichts, woran wir uns erinnern, ist objektiv. Man muss aber wahrhaftig schreiben. Und damit können Sie sich schrecklich verletzen.“ Auf die Frage, ob man eine Erfahrung tötet, sobald man sie aufschreibt, antwortet er: „Man verändert sie“, und: „Unsere Erinnerungen sind nicht die Wirklichkeit.“ Der Vater von Ferdinand von Schirach, Sohn von Baldur von Schirach, hat sich zu Tode getrunken. Und auch Ferdinand von Schirach versuchte mal, sich das Leben zu nehmen, mit einer Schrotflinte. Von der er später merkte, dass sie nicht geladen gewesen war.

Von Schirach glaubt, man könne nur ein-, zweimal im Leben lieben. „Es gibt nur den einen Lebensmenschen.“ Er sagt auch: „Ich vermisse das Heilige, es verschwindet allmählich aus unserer Welt. Das Geheimnis, das Wunderbare und Unerklärliche ist der tiefste Grund für Kunst. Wenn es das nicht mehr gibt, verschwindet auch sie. Dann ist alles durchdekliniert und sieht aus wie die Oberfläche eines iPhone. Das ist nicht mehr meine Welt.“ Er habe, meint er auch, „nur zwei oder drei Jahre“ wirklich gelebt. „Ich habe zu viele Fehler gemacht.“ Er ist Jahrgang 1963. Und auf die Frage, ob es Fehler gibt, die er sich nicht verzeihen kann, sagt er: „Wir können jedem vergeben. Den Eltern, Kindern, Geliebten, den Freunden und selbst den Feinden. Nur bei uns selbst geht das nicht, das ist unmöglich. Wir können uns nicht einmal verzeihen, weil niemand sich selbst eine Schuld erlassen kann, das kann nur der Gläubiger dieser Schuld. Sie können sich erst recht nicht selbst vergeben, weil nur ein anderer Ihnen etwas schenken kann. Ihre Schuld verjährt nicht. Damit müssen Sie leben. Oder auch nicht.“